Donnerstag, 26. Juli 2012

Hinten im Bus

Hinten im Bus sitzen die Coolen. So viel wusste ich noch von den Sekundarschulreisen. Hinten im Bus sitzt man weit weg von der Lagerleitung und wird in Ruhe gelassen. Denn von denen hinten im Bus hat man ein bisschen Respekt. Hinten im Bus kann man auf dem iPhone alte Musikvideos von frueher anschauen, zum Beispiel "Wish I were an angel" von der Kelly Family oder "Babe" von Take That, und sich darueber unterhalten, in welchen der busperen Boys man seine teenagerliche Sehnsucht investiert hat. Hinten im Bus darf man auch mal peinlich sein. Denn hinten im Bus ist man der ewige Teenager, auch mit zweiunddreissig Jahren. Hinten im Bus stopft man sich die Kopfhoerer in die Ohren, wenn die Lagerleitung das Boardmikrofon zwecks Vermittlung wichtiger Informationen in Beschlag nimmt, verdreht die Augen und denkt sich heimlich, dass man diesen Kram doch nicht noetig hat. Das ist kindisch. Und deshalb ist es so unglaublich lustvoll, mal endlich wieder eine Woche hinten im Bus zu sitzen, zusammen mit seinen besten Gspaennli.

London - Sheffield - Bradford - Manchester - Liverpool: zum Abschluss des Vikariats fahren die zweiundzwanzig Vikare und Vikarinnen eine Woche nach England, begleitet von vier vollamtlichen Erwachsenen. Diese planen fuer uns die WC-Pausen, checken die Gruppen in den Hotels ein und kuemmern sich darum, dass wir regelmaessig essen. Warum England? Hier gibt es die "Fresh Expressions of Churches", eine junge Bewegung der anglikanischen und methodistischen Kirche, die ganz andere Formen von Kirchen anerkennt, mitten in sozial explosiven Stadtvierteln einer postmodern gepraegten Gesellschaft. Die frischen Kirchen sprechen Menschen an, die als "de churched" oder "non churched" bezeichnet werden, und doch auf der Suche nach Lebenssinn, Gemeinschaft und spiritueller Tiefe sind. Man trifft sich in Pubs, backt zusammen Brot, bietet Gottesdienste in Kirchenkaffees an. Sozial benachteiligte Jugendliche gestalten mit Unterstuetzung eines Pfarrers selber ihre Kirche, Banker entwickeln ihre eigenen Meditationsliturgien.

Bis hierher noch nicht viel Neues. Angebote der reformierten Kirchen in der Schweiz versuchen sich ebenfalls darin, durch neue Angebote die postmodernen Sinnsuchenden anzusprechen (man darf heute auch vorsichtig wieder von Mission reden). Es werden gross angelegte Gesellschaftsstudien in Hinblick auf das religioes-spirituelle Verhalten verschiedener Gruppen betrieben (als sogenannte Sinus-Studie bei der Schweizer Pfarrschaft mittlerweile zu Beruehmtheit gelangt). Das ganz andere in England: es werden bereits waehrend der Pfarrausbildung Weichen gestellt. Man kann sich zum "Pioneer Minister" ausbilden lassen und zum dynamischen Gemeindeaufbau in brach liegende Gegenden oder Kirchen geschickt werden. Die "Pioneer Ministers", die wir treffen, sind denn auch aeusserst kreative, kommunikative und gesellschaftsorientierte PfarrerInnen (meistens aber ohne das -Innen). Ihre Arbeit wird von der Mutterkirche als gleichwertig anerkannt. Die Pioniere bekraeftigen, was viele von uns in den jeweiligen Vikariatsgemeinden gelernt haben: Kirche geht vom Menschen aus. Sie braucht Mut zur Verletzlichkeit und Fehlerhaftigkeit. Sie braucht Pfarrer und Pfarrerinnen, die ueber sich selber lachen können und vor allem: die den Menschen ganz und gar angstfrei begegnen.

Zum Beispiel denen hinten im Bus.