Dienstag, 14. Juli 2015

Wenn Mammon ruft und Luther sich im Grab umdreht

Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich die Menschen durch die andere Brille anschaue, die Brille des Mammon. Manchmal gehe ich auf die Menschen zu und überlege mir, wieviel Geld sie wohl in der Tasche haben und wie sich das wohl locker machen lässt. Dann erschrecke ich über mich selber. Ich bin nicht nur Pfarrerin, sondern auch Fundraiserin, und seit der Kirchenbund beschlossen hat, aus der Finanzierung der Schweizer Auslandkirchen auszusteigen, hat sich mein Profil noch einmal mehr in diese Richtung bewegt.

Das Berufsbild PfarrerIn wird sich auch in der Schweiz in diese Richtung bewegen, wo das nicht schon der Fall ist.

Was bedeutet das eigentlich für unseren Beruf?  

Um eines gleich am Anfang klarzustellen: ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass PfarrerInnen Geldmittel für das Weiterbestehen ihrer Gemeinde beschaffen. Dies hier wird also kein Lamento, das sich zur Rechtfertigung der Staatskirche benutzen lässt. Der Grund, warum ich dem Fundraising nicht ganz abgeneigt bin, liegt daran, dass mir die Aufgabe eigentlich noch liegt. Ich bin eine Netzwerkerin und Kommunikatorin und London bietet sich für kreatives und innovatives Kirchengestalten ja regelrecht an. Und da sind wir schon mal bei Punkt eins und zwei:

1. PfarrerInnen sind so unterschiedlich wie Sand am Meer. Es gibt die Verwalter ebenso wie die Kommunikatorinnen, die Liturginnen ebenso wie die Schriftgelehrten, und noch viele mehr. Das Netzwerken und Geld beschaffen ist nicht jedem gegeben und muss es auch nicht, denn die Kirche lebt von der Vielfalt ihrer Amtsleute. Wenn wir alle nur noch Netzwerkerinnen und Kommunikatoren wären, wer würde denn nächtelang Bibel-Kommentare wälzen, sich in die Details der Kirchenverwaltung vertiefen, stundenlang zuhörend am Krankenbett sitzen?

2. Nicht jede Kirchgemeinde lebt von einem dynamischen und innovativen Gemeindeleben. Manche Gemeinden sind eben gerade wegen ihrem gemächlichen Festhalten an Traditionen verlässige Stützpfeiler der Gemeinde. Im Stiftungswesen hat sich aber in den letzten Jahren der Trend festgesetzt, dass kaum mehr Grundkosten finanziert werden, sondern nur noch projektorientiert Geld vergeben wird. Das heisst für Gemeinden: Projektarbeit, Benchmarking, Erfolgskritierien. Für die feinen Zwischentöne, das Unvorhergesehene und die feine Beziehungsarbeit, oder zusammengefasst: für die 'unsichtbare' Reich-Gottes-Arbeit bleibt immer weniger Platz.

Es ist wichtig, dass die unterschiedlichen Pfarr- und Gemeindeprofile auch weiterhin einen festen Platz in unserer Kirchenlandschaft haben. Mir persönlich entsprechen ja liturgisch traditionell aber theologisch liberal gestaltete Gottesdienste am meisten. Ich fände es sehr  bedauernswert, wenn alle Kirchen nur noch darauf ausgerichtet wären, möglichst 'hip' und 'fresh expression' zu sein.

So, und jetzt die Vorteile:

1. Finanzielle Engpässe machen kreativ. Wenn das Geld plötzlich ausbleibt, dann kommt man nicht darum herum, das Warum und Wozu der Gemeindeexistenz zu hinterfragen und auch die eigene Bindung und Selbstverpflichtung als Pfarrerin zu reflektieren. Was ist meine Berufung und wie weit bin ich bereit, dafür zu gehen? Dieser Prozess fordert heraus und bringt neue Ideen zutage - Ideen, was Kirche heute sein soll, sein kann. Die auslaufenden Geldmittel waren mit ein Hauptgrund, warum ich mich auf die Stelle an der Swiss Church in London beworben habe.

2. Man lernt durch die Aufgabe als Pfarrerin-Fundraiserin unglaublich viel Menschen kennen, mit denen man sonst eher nicht in Kontakt kommen würde. Für manche Menschen kann der 'Moneytalk' sogar ein Einstieg in die Kirche sein und das Interesse an theologischen Fragen wecken. Reiche Menschen sind sich oft bewusst, dass da doch was war mit den Reichen und dem Zugang zum Gottesreich und fühlen sich irgendwie ausgeschlossen. 'Moneytalk' kann den Zugang zur spirituellen Welt eröffnen.

Gerade kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem Banker, der mir im Pub die Welt der Hedge Fonds Manager erklärte. "Du siehst ja selber: wir sehen alle gleich aus. Wir ticken  gleich, und wir wissen, was wir tun ist verwerflich. Man muss uns nur die Gelegenheit geben, grosszügig zu sein! Wir wollen von unserem schlechten Gewissen erlöst sein."

Da stecke ich als reformierte Pfarrerin nun ganz schön in der Patsche. Einerseits winkt Mammon mit seinen Goldmünzen, andererseits dreht sich Martin Luther gerade besonders laut in seinem Grab. Dass bald 500 Jahre Reformation gefeiert wird, macht es mir dann auch nicht leichter. Ist ein bisschen Ablasshandel im 21. Jahrhundert in der Finanzmetropole London erlaubt? Nur ein kleines birebitzeli? Ich bin ja sonst theologisch recht konsistent... Luther, wa meinsch?

Luther hilft mir auch nicht weiter. Er hat sich wieder in seine Totenposition begeben und schweigt mich beharrlich an. Ich muss das ganz alleine abwägen, heute, 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation. Natürlich kann ich das ganz unmerklich machen, mich selber ein bisschen anschwindeln und dann von irgendwoher auf Erlösung hoffen. Aber will ich das? Soll ich das? Ich weiss es nicht.

Es macht etwas mit mir als Pfarrerin, und ich bin noch unschlüssig, was das genau ist, und ob ich es mit meiner Berufung vereinbaren kann. Vorläufig klappt das noch ganz gut. Wichtig ist, dass wir Christen und Christinnen uns alle zusammen Gedanken darüber machen, was Kirche für uns eigentlich ist und was für Pfarrpersonen wir wollen. Solche, die uns vielleicht manchmal durch die Brille des Mammon anschauen und theologische Gymnastikübungen machen, um den Status Quo am Laufen zu halten, oder solche, die einfach Mensch sind und über Gott und die Welt nachdenken, in einer Welt der Messbarkeit und des Leistungsdrucks? Das eine schliesst das andere nicht unbedingt aus, aber es macht was mit uns, das hat auch Luther schon gewusst.